Kettenwerksfahrleitungen

Hochgeschwindigkeitsoberleitung mit Rückleiterseil und Verstärkungsleitung über zwei Gleisen und vor blauem Himmel
HGV-Fahrleitung mit Rückleiterseil und Verstärkungsleitung
© Manfred Irsigler

Die Fahrleitungsanlage ist das Netzwerk zur Versorgung elektrisch angetriebener Fahrzeuge mit elektrischer Energie aus den Unterwerken. Fahrleitungen wurden entsprechend den zunehmend anspruchsvolleren Aufgaben ständig weiterentwickelt, sodass die Konstruktionen von der Einfachoberleitung (ohne Tragseil) für geringe Betriebsgeschwindigkeiten bis zur modernen Kettenwerksfahrleitung für HGV-Strecken reichen.

Kettenwerksfahrleitungen sind wegen der relativ einfachen Bauweise und der guten elektrischen und mechanischen Eigenschaften eine bewährte Lösung. Das einwandfreie Zusammenwirken von Fahrleitung und Stromabnehmer bestimmt die Zuverlässigkeit, Betriebssicherheit, Verfügbarkeit und Güte der Leistungsübertragung auf die Triebfahrzeuge. Die Kettenwerksfahrleitung (Fahrdraht und Tragseil) kann nicht redundant ausgeführt werden. Der Infrastrukturbetreiber hat die elektrotechnische Personen- und Anlagensicherheit zu gewährleisten.

In der EN 50122-1 und in den Richtlinien der Infrastrukturbetreiber ist der Fahrleitungsbereich als jene Grenze definiert, die eine gerissene Fahrleitung in der Regel nicht überschreitet. Der Stromabnehmerbereich gibt die Grenzen vor, die ein unter Spannung stehender Stromabnehmer auch bei Bruch oder Entgleisung in der Regel nicht überschreitet.

Prinzipskizze der beidseitigen Richtungsspeisung
Längs- und Querkupplung von Streckenfahrleitungen
© Manfred Irsigler

Für Fahrgeschwindigkeiten von 300–400 km/h sind mehr als 10 MW vom Fahrdraht auf die Stromabnehmer zu übertragen, womit physikalische Grenzen erreicht werden. Gleichstromsysteme sind für Hochgeschwindigkeitsstrecken nur bedingt geeignet, weil die hohen Leistungen/Ströme das Kontaktsystem Fahrdraht – Stromabnehmer sehr stark beanspruchen. Eine Antriebsleistung von 10 MW ergibt bei 3 kV ca. 3500 A, bei 15 kV ca. 700 A und bei 25 kV ca. 400 A ab Fahrleitung.

Für Gleichstrombahnen sind daher wegen des hohen Leistungsbedarfs häufig Kettenwerke mit Doppelfahrdrähten und Stromabnehmer mit mehr als zwei Schleifleisten notwendig, während für Wechselstrombahnen leichte Kettenwerke mit einem Fahrdraht und Stromabnehmer mit zwei Schleifleisten ausreichen.

Leistungsmerkmale und Spezifikationen für die Interoperabilität und das Kontaktverhalten der Fahrleitung sind vor allem die Geometrie der Fahrleitung, die mittlere Kontaktkraft, das dynamische Verhalten, die statischen Kriterien, der Stromabnehmerabstand bei Mehrfachtraktion sowie die ausreichende Leistungsbereitstellung und Strombelastbarkeit. Der Verschleiß an den Schleifstücken und am Fahrdraht nimmt mit der Fahrgeschwindigkeit, mit der Anpresskraft und mit der Strombelastung zwischen dem Stromabnehmer und dem Fahrdraht zu.

Die relevanten technischen Vorgaben für Fahrleitungssysteme für die Planung, Dimensionierung, Ausführung und Bewertung sind in den TSI und ergänzend dazu in den EN grundlegend festgelegt. Die Ausführung einer Fahrleitung muss durch ein nach EN 50318 validiertes Simulationssystem sowie durch die Messung nach EN 50317 mit interoperablen Messstromabnehmern zertifiziert werden.

Für einen freien, interoperablen Netzzugang zur Infrastruktur sind z. B. folgende geometrische Parameter wie Umgrenzungslinie, Infrastrukturlichtraum, Fahrdrahthöhe über SOK, zulässige Fahrdrahtlängsneigung, zulässige horizontale Auslenkung des Fahrdrahts von der Gleismittellinie und Raum für den Anhub des Seitenhalters am Stützpunkt, maßgebend.

Es sind die Lichtraumprofile und Freiräume für alle Fahrzeugarten, die auf der Strecke verkehren, nach TSI ENE, TSI LOC&PAS und TSI INFRA zu berücksichtigen. Die Fahrleitung muss für Stromabnehmer mit der in der TSI LOC&PAS spezifizierten Wippengeometrie ausgelegt sein.

Das System Fahrleitung muss die Leistung auf die Triebfahrzeuge unter ständigem elektrischen und mechanischen Kontakt in allen Geschwindigkeitsbereichen störungsfrei übertragen und es muss auch bei Stillstand eine zuverlässige Stromübergabe sichergestellt sein. Zusätzliche Aufgaben von Oberleitungen sind die Übernahme und Rückspeisung von Bremsenergie aus den Fahrzeugen zu den Unterwerken oder die Weiterleitung zu anderen Zügen und die Versorgung von Nebenverbrauchern (Weichenheizanlagen, Zugvorheizanlagen usw.).

Die elektrische Leistungsfähigkeit ist zum einen von einer ausreichenden und stabilen Traktionsstromversorgung und zum anderen von der Übertragungskapazität des Oberleitungssystems abhängig. In Sonderfällen kann das Fahrleitungsnetz auch direkt aus Bahnkraftwerken oder Umformer- bzw. Umrichterwerken gespeist werden.

Komponenten von Oberleitungssystemen

Oberleitungen umfassen Fahrdrähte, Tragseile, Y-Beiseile, Rückstromführungsseile, Erdseile, (-kabel), Speiseleitungen, Verstärkungsleitungen und Negativfeeder bei Zweiphasen- bzw. Mehrspannungssystemen, Boosterschaltungen und Tragkonstruktionen zur Befestigung, Seitenführung und Isolierung der Leiter. Erklärungen zu den Komponenten:

  • Speiseleitungen sind elektrische Verbindungsleitungen zwischen Schaltanlagen und Fahrleitung, die auf eigenen Masten, auf Fahrleitungsmasten oder sonstigen Stützpunkten als Freileitung oder als Kabel verlegt sind.
  • Verstärkungsleitungen sind parallel zur Fahrleitung verlegte Freileitungen oder Kabel. Sie verstärken den nutzbaren Leitungsquerschnitt und verbessern damit die Strombelastbarkeit sowie die Spannungsqualität. Sie sind in bestimmten Abständen mit der Oberleitung verbunden.
  • Mit Umgehungsleitungen werden abschaltbare Fahrleitungsabschnitte überbrückt, um nachfolgende Speiseabschnitte versorgen zu können.
  • Rückleitungen („Bahnerde“) führen den Bahnrückstrom im Betriebs- und Fehlerfall zu den speisenden Unterwerken zurück und haben zusätzlich die Aufgabe, unzulässige Fehler- und Berührungsspannungen zu vermeiden. Rückleitungen sollen nach Möglichkeit einen großen Teil des Bahnrückstroms aus den Schienen abziehen.

 

Empfohlene Fachliteratur:

Irsigler, Manfred, Systemtechnik von HGV-Oberleitungen
https://www.pmcmedia.com/neuerscheinungen/424/systemtechnik-von-hgv-oberleitungen?c=5